- Annika van Veen
Das „Qualzuchtgesetz“ – vom sinnvollen Schutz zum unsinnigen Spießrutenlauf?
Vorsicht, Lesezeit länger als 30 Sekunden – wichtige Themen dürfen länger beachtet werden.
Fakt ist: Mit der überarbeiteten Tierschutzhundeverordnung wird ein wichtiger Beitrag zum Schutz unserer Hunde geleistet.Nach der Einführung vor einigen Monaten treten nun jedoch Fragen auf: insbesondere zu nicht definierten Begriffen und zur Auslegung der Verordnung in der Praxis, die für Staunen sorgt. Dazu weiter unten mehr…
Große Verunsicherung verursacht aktuell der § 10, in dem in Satz 1 Hunde mit (teil-) amputierten Körperteilen oder bestimmten Merkmalen, die Leid, Schmerz und Schaden verursachen von Ausstellungen ausgeschlossen werden. Um Qualzuchten auf Dauer zu verhindern ein legitimes Mittel, dass man grundsätzlich begrüßen muss.
Im Satz 2 werden diese Hunde auch von allen weiteren Veranstaltungen ausgeschlossen, in denen Hunde verglichen, geprüft oder sonst beurteilt werden. Das wäre der Paragraph in aller Kürze.
Nun ergeben sich jedoch massive Probleme für Hunde und Halter durch die derzeit stattfindende, äußerst willkürlich anmutende Auslegung des Satzes 1 und der nicht definierten Begrifflichkeit „Veranstaltung“ in Satz 2. Die Umsetzung geht teils weit über das Ziel „Qualzuchten verhindern“ hinaus und bedarf einer dringenden Klärung.
Beleuchten wir die Problematik der Auslegung von Satz 1 zunächst näher:
Dafür wird der genaue (!) Wortlaut desselbigen als bekannt vorausgesetzt. Man assoziiert hier sicherlich und sinnvollerweise das Bild von Hunden mit massiv eingekürzter Schnauze, welche eine Atmung schon im Gehen nahezu unmöglich macht, erblich bedingte Erkrankungen, die die Lebenserwartung verkürzen bzw. die Lebensqualität maßgeblich herabsetzen. Oder man denkt an körperliche Veränderungen (z.B. stark verkürzte Gliedmaßen, massenweise Fell, amputierte Körperteile), die artgerechte Bewegung und auch die Kommunikation innerhalb von Sozialkontakten einschränken.
Assoziationen, die der Verordnungstext stützt und diesen zielführend wirken lassen. Doch die Auslegungen und die praktische Umsetzung sehen in der Realität derzeit mancherorts anders aus: Hunde, denen ein (in Zahlen: 1) Zahn fehlt, werden von Veranstaltungen auf Ausstellungen ausgeschlossen. Gesunde Hunde, in deren Rasse es zu vererbten Wirbelsäulenerkrankungen kommen kann, sollen Untersuchungen nachweisen, die in Vollnarkose durchgeführt werden müssen. Schweißhunde, deren Ohren den Boden bei der Arbeit berühren, werden von Prüfungen ausgeschlossen. Ein Windhundrüde mit einem fehlenden Hoden darf nicht mehr an (Freizeit-)Rennen teilnehmen. Ein fehlender Zahn mag ein erblich bedingtes Merkmal sein, löst aber nicht zwingend Leid, Schmerzen und Schäden aus. Diese Voraussetzung muss laut Verordnung jedoch erfüllt sein, um den Ausschluss zu begründen. Ebenso die mögliche Erkrankung der Wirbelsäule, aber auch die Länge der Ohren oder gar der fehlende Hoden lösen nicht zwingend Schmerzen, Leiden oder Schäden beim Hund aus. Ein „könnten auslösen“ ist nicht von der Verordnung gedeckt. Dennoch werden zur Zeit Hunde – wohlgemerkt individuell gesunde Hunde – stigmatisiert und ausgegrenzt aus Beschäftigungen, Zusammenkünften mit Artgenossen, Besuch von Ausstellungen und weiteren Veranstaltungen.
Womit wir direkt in die zweite Problematik übergehen. Der § 10 Ausstellungsverbot regelt, wie namentlich zu erkennen, den Ausschluss von bestimmten Hunden von Ausstellungen. Der Satz 2 schließt diese Hunde (und all die, die durch Auslegung noch dazu kommen) auch von sonstigen Veranstaltungen aus, bei denen Hunde verglichen, geprüft oder sonst beurteilt werden. Jetzt fragt sich der gewissenhafte Leser der Verordnung, was unter „sonstige Veranstaltungen“ zu subsumieren ist. Die Begründung zur Verordnung gibt nur zwei Beispiele her: „z. B. Zuchtleistungsprüfungen und Hundesportveranstaltungen“ – so weit, so gut. Bedeutet bei genauer Betrachtung und Auslegung (die derzeit an alle möglichen und unmöglichen Varianten denken lässt), dass aufgrund der gewählten Formulierung auch Veranstaltungen, bei denen das Verhalten und die Gehorsamkeit des Hundes beurteilt werden und die der Sozialisierung dienen, wie z. B.
- KoAla Test® (Kompetenzprüfung von Hund und Halter im Alltag)
- Hundeführerscheinprüfungen
- Begleithundeprüfungen
- Sachkundeprüfungen
und die der rassegerechten Auslastung sowie der psychischen und physischen Gesundheit (auch im Freizeitbereich) dienen, wie z. B.
- Agility
- Treibball
- Hoopers
- Rallye Obedience
- Obedience
- Canicross
- Dog Diving
nicht mehr von diesen Hunden besucht oder an diesen teilgenommen werden kann. Dass Hunde, die Schmerzen haben oder Leiden erdulden, keine sie schädigenden Leistungen erbringen dürfen, ist bereits übergeordnet im § 3 TierSchG geregelt. Es gibt jedoch z.B. extra Klassen für Hunde mit Einschränkungen, die an die Leistungsfähigkeit der Hunde angepasst werden, so dass diese mit Freude und schonend ausgelastet, beschäftigt und bis ins hohe Alter gefördert werden können. Abgewandelte Varianten, wie Degility, zeichnen sich ebenso dadurch aus. Im Canicross darf individuell im langsamen Gehen die Strecke bewältigt werden. Hundeführerscheine, Begleithundeprüfungen, Sachkundeprüfungen und auch der KoAla-Test® dienen der Prävention und Gefahrenabwehr, sowie dem Erreichen einer Umwelttauglichkeit und dem Umsetzen eines verantwortungsvollen Umgangs des Menschen mit seinem Hund. Stehen diese Möglichkeiten einem Hund zur Verfügung, dem im Ausland die Ohren kupiert oder tierschutzwidrig die Rute durch eine Kette von Konservendosen abgerissen wurde und er über den Tierschutz an eine Familie in Deutschland vermittelt wurde? Derzeit per Verordnung nein! Darf ein Mops aus einer Qualzucht mit verkürzter Nase mit seinen Haltern einen Kompetenztest für den Alltag machen unter Rücksichtnahme auf seine Einschränkungen? Derzeit per Verordnung nein! Darf ein Hund mit erblich bedingter Hüftdysplasie Agilityturniere im Freizeitbereich mitbestreiten, die mittlerweile auf solche Hunde ausgelegt und von Hundephysiotherapeuten begleitet werden, damit die Halter kompetent betreut werden? Derzeit per Verordnung nein!
Und schließlich: darf der kerngesunde, nicht zur Zucht eingesetzte Beagle, dem erblich bedingt ein (!) Zahn fehlt, an einem Hoopersturnier teilnehmen? Derzeit per Auslegung der Verordnung nein!
Findet mit der derzeitigen Tierschutzhundeverordnung tatsächlich ein Schutz der Hunde statt? Wird das Ziel Qualzuchten auf Dauer zu verhindern so erreicht? Oder gehen am Ende ein guter Wille und eine gute Idee durch wilden Aktionismus auch am Ziel vorbei? Die Zukunft wird es zeigen. ProHunde bietet seine Expertise und Wissen den zuständigen Stellen gerne an!
Wir haben uns bereits an das Bundesministerium und allen Landesministerien mit der Bitte um Klarstellung der Regelung gewandt.
Autorenportrait
Annika van Veen
arbeitet bei: 4PfotenCoach
Hauptfokus: Leitung Geschäftsstelle ProHunde e.V.
kommt aus: Xanten
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